Chronisch krank an Events teilnehmen

oder: Wie ich mit meinen Krankheiten ein Seminar durchstehen kann

Über längere Zeit schwer krank zu sein verändert die Art und Weise, wie wir über alltägliche Dinge nachdenken. Plötzlich lauert überall Gefahr, alles könnte zu viel werden und muss genaustens geplant werden. Am besten lassen wir dann doch lieber sein, wer weiß was alles schief gehen könnte.

Wer kann, darf, sollte sich trauen?

Ich bin inzwischen von Bettlegerigkeit und 10-20% auf der Bell-Skala wieder bei guten 40% angekommen, an manchen Tagen vielleicht sogar 50%. Es gab eine Zeit, da wäre so ein Seminar mit noch so viel Vorbereitung nicht möglich gewesen. Das soll also kein Beitrag in die Richtung „Wenn Du nur willst, dann kannst Du alles schaffen!“ sein. Diese Einstellung halte ich ebenfalls für gefährlich und in manchem Stadium nicht gesundheitszuträglich. Ob es möglich ist, was zu wagen, kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Da geht es vor allem darauf, auf das Körpergefühl zu hören und es richtig zu interpretieren. Ein bisschen was zum Thema Kontakt zu Emotionen und Körper habe ich in diesem Artikel geschrieben.

Manches geht leider nicht

Die Möglichkeit, so ein Seminar oder anderes Event durchzustehen hängt natürlich von dem körperlichen Zustand ab. Manche Dinge gehen einfach mit gewissen Einschränkungen nicht. Hier gilt es also, das was veränderbar ist zu verändern und das was sich nicht ändern lässt, zu akzeptieren. Leider sind wir oft so gestrickt, dass wir vieles für gegeben und daher unmöglich halten. So lange, bis wir einen anderen Weg finden, das Ziel zu erreichen. Dazu müssen wir lernen, etwas kreativer und außerhalb des Bekannten zu denken. Da können ganz wunderbare Möglichkeiten entstehen!

Die Psyche: Ängste und Einstellungen

Auch die Psyche, die Ängste und Einstellungen, haben einen großen Einfluss darauf, ob wir uns etwas trauen und ob und wie wir es durchhalten.

Ich habe es irgendwann einfach gewagt mich probeweise für ein Seminar anzumelden, hatte aber noch große Angst und war sehr unsicher. Aber ich wollte weiterkommen und hatte das (Körper-)Gefühl, dass es mir auch gut tun könnte. Ich habe zwei Wochenendseminare gut durchgestanden. Bei einem weiteren musste ich vorzeitig abbrechen und hatte einen Crash. Das schreibe ich dem heißen Wetter und der Erhöhung meiner Guaifenesin Dosis kurz zuvor zu. Wer übrigens meine Symptome über die Zeit und auch in Zusammenhang mit der Guaifenesin Therapie und den Seminaren begutachten möchte, kann das in meinem live Symptomdiagramm tun.

Insgesamt hat sich mein Zustand weiter verbessert. Ich bin immer noch sehr unsicher und ängstlich und merke, dass mir diese Angst das Leben noch schwerer macht. Angst zu haben ist so wahnsinnig anstrengend. Als chronisch kranker Mensch gibt es noch so viel mehr Dinge, über die man sich sorgen machen und vor denen man Angst haben kann. Deshalb übe ich mich regelmäßig und vorsichtig in Dingen, die ich lange nicht tun konnte und die mir Angst machen. Und es wird immer besser! Ich habe das Gefühl, dass es mir gut tut und mich heilt, wieder mehr am Leben teilzunehmen und nicht nur alles durch meine Kranksheitsbrille zu betrachten.

Wann ich mich bemühe, Ängste zu überwinden

Dabei nehme ich mir genau die Dinge vor, bei denen ich eine Hemmung spüre. Das sind so große Dinge, wie ein Seminar, aber auch sowas wie selbst mit dem Auto fahren, einen längeren Spaziergang machen, mit dem Hund zum Tierarzt gehen oder eine lange Autofahrt (als Beifahrer) in eine Spezialambulanz. Wenn ich über sowas nachdenke, spüre ich einen Druck in der Brust und merke, dass ich unruhig werde. Das zeigt mir, dass hier eine Angst vorliegt, der ich entgegenwirken will. Ich frage mich dann, ob die Angst berechtigt ist. Es gibt natürlich Dinge, vor denen ich zurecht noch Angst habe und die vermutlich zu viel wären. Diese Dinge lasse ich erstmal sein und konzentriere mich auf kleinere Aktivitäten, bei denen ich ehrlich nicht sagen kann, ob es zu viel wird oder nicht. Ich kann es in diesen Fällen nicht wissen, bevor ich es ausprobiert habe.

Auf den Körper hören und klar kommunizieren

Wichtig ist es dabei, gut auf den Körper zu hören und auf die eigenen Einschränkungen zu achten. Ich bereite mich gut auf die Aktivität vor. Überlege vorab, was ich brauche, was ich im Notfall tun kann und ruhe mich ggf. vorher und nachher aus. Bei dem Seminar trage ich z. B. eine Sonnenbrille und Ohrstöpsel, manchmal noch eine Cappy dazu.

In der Vorstellungsrunde habe ich mich folgendermaßen vorgestellt: „Ich bin Alexandra und ich bin schwer krank. Dadurch habe ich besondere Bedürfnisse und Einschränkungen. Deswegen trage ich z. B. eine Sonnenbrille und Ohrstöpsel. Ich muss gut auf mich achten.“

Ich habe mich also vorgestellt und direkt alle Vorurteile und schiefen Blicke wegen meiner Sonnenbrille ausgehebelt. Ich habe für mich eingestanden. Dabei war ich sehr nervös und es war nicht grade angenehm aber nötig und wertvoll!

Später habe ich deshalb von einigen Kursteilnehmerinnen positives Feedback dazu bekommen. Es kamen keine blöden Blicke oder Fragen, alle waren sehr verständnisvoll. Dem Kursleiter habe ich übrigens schon vorher bescheid gegeben.

Alles dabei haben

Ich habe mir außerdem meine planmäßigen und Notfall-Medikamente, viel zu trinken, einen Schal und Klamotten in Zwiebelschicht angezogen und ein Heizkissen mitgebracht. Vor Ort habe ich mir Blöcke für die Füße geborgt, damit ich ergonomisch sitzen konnte. Grundsätzlich sind alle Stühle für meine 164 einfach zu hoch und das sorgt immer für Schmerzen in der unteren Körperhälfte. Ich sitze außerdem möglichst an einem offenen Fenster für frische Luft mit indirektem Licht.

Ich habe mir gut verträgliches Essen vorkochen lassen und leise Snacks eingepackt, die ich auch während der Sessions essen konnte (z. B. Joghurt mit Obst und Muffins).

In der Mittagspause habe ich mich zurückgezogen. Ich tausche mich gerne mit anderen aus aber ich brauche unbedingt diese Stunde Ruhe zwischendurch. Also esse ich in Ruhe mein Essen, ohne Unterhaltung oder Handy. Dann lege ich mich eine halbe Stunde auf das Sofa und meditiere mit Kopfhörern. Wenn es kein Sofa gibt, kann man sich vielleicht ins Auto legen oder eine Yogamatte mitbringen oder eine Parkbank aufsuchen.

Das tut mir sehr gut und beruhigt mein Nervensystem. Ein Spaziergang hätte sicherlich auch den Effekt aber bisher fühlte sich das noch nach zu viel an. Ich bemühe mich sehr darum, auf meinen Körper zu achten und möglichst sofort auf negative Reize zu reagieren, indem ich z. B. meine Position auf dem Stuhl ändere oder aufstehe,was trinke oder eine längere Toilettenpause mache, wenn es mir zu viel wird. Ich erlaube es mir auch, zwischendurch abzuschweifen und hier und da nicht zuzuhören. Dabei helfen mir die Ohrstöpsel sehr. Die Loop Experience Ohrstöpsel (s. Bild) eignen sich meiner Erfahrung nach ganz gut in Gruppen und sehen dazu auch noch richtig schick aus!

Keine Energie für Perfektionismus

Hier muss mein Perfektionismus dran glauben. Ich kann nicht mehr so viel leisten wie früher und ich werde von solchen Seminaren weniger mitnehmen können. Ich muss mehr Energie und Aufmerksamkeit auf mein eigenes Befinden lenken und ich brauche mehr Pausen als die anderen TeilnehmerInnen. Und das ist okay. Ich glaube, dass ich trotzdem noch das Wichtigste mitkriege und einen wertvollen Beitrag in der Gruppe leiste. Ich versuche damit zu leben, dass ich möglicherweise früher gehen muss oder mal ein geplantes Wochenende ganz ausfallen lassen muss, wenn es mir zu schlecht geht. Ich will mich nicht zu etwas zwingen, wenn mein Körper mir klare Warnsignale gibt. Dann verpasse ich lieber etwas. Denn meine Gesundheit hat die oberste Priorität, nicht die anderen, nicht das Wissen oder zu erlangende Zertifikate, ich!

Immer einen Notfallplan parat haben

Wenn alle Stricke reißen, habe ich einen Notfallplan und lasse mich abholen. Es ist wichtig, sich einzugestehen, wenn es nicht geht und die Verluste bzw. die Verschlechterung in Grenzen zu halten. Sich noch weiter durchzuquälen hilft niemandem und muss im Zweifel später teuer bezahlt werden. Das ist es mir nicht wert. Aber es ist eben auch wichtig zu erkennen, wann man es sich leichter macht, indem man nicht hingeht. Wenn es nämlich die Angst und die Gemütlichkeit, das Verbleiben-wollen in der sicheren Comfortzone sind, die einen davon abhalten. Das sind dann eher psychische Symptome, die sich im Kopf abspielen und weniger die tatsächlichen körperlichen Symptome. Das zu unterscheiden ist manchmal gar nicht so leicht und bedarf, wie so Vieles, an Übung.

Wie kann man die Ängste überwinden?

Wie man die Ängste überwinden kann, ist vermutlich individuell. Mir hilft die Technik des Gedankenstopp oder Ablenkung. Ich glaube auch, dass die Arbeit mit inneren Anteilen hier hilfreich sein kann. Denn es ist ja nur ein Teil in uns, der Angst hat. Es gibt auch andere Teile. Ich versuche dann, den mutigen, starken, erwachsenen Teil zu fördern und zu bestärken, indem ich mich auf diesen Anteil konzentriere. Da hilft es mir z. B. mich entsprechend zu kleiden, passende Musik zu hören, eine aufrechte Körperhaltung anzunehmen und vorher ein bisschen durch das Zimmer zu tanzen. Diese Dinge gehören zu diesem Anteil und machen, dass ich mich gut mit ihm (ihr) identifizieren und ihn ausleben kann. Das gibt mir oft einen Boost in die richtige Richtung.

Wie sind Deine Erfahrungen mit Angst vor Aktivität? Was hilft Dir, solche Aktivitäten und Events durchzustehen und die Angst zu überwinden?

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