
26 Jun Vom negativen Selbstwertgefühl und seinen Folgen
Fühlst Du Dich schnell angegriffen, kannst nur schwerlich mit Kritik umgehen und reagierst aggressiv, höhnisch oder emotional? Hast Du Angst, anderen von deinen Entscheidungen oder Fehlern zu berichten oder überhaupt Entscheidungen zu treffen? Dann lohnt sich ein tiefer Blick hinter deine eigene Kulisse – Dein Selbstwert könnte das Problem sein.
Selbstwertgefühl – was ist das und was soll ich damit?
Unser Selbstwertgefühl ist unsere Bewertung (positiv-negativ) über unsere eigene Person bzw. unser Selbstbild. Was ein negatives Selbstwertgefühl für Folgen hat und wie man erkennen kann, ob man ein negatives Selbstbild hat, darum soll es in diesem Beitrag gehen. Es ist nämlich nicht immer ganz einfach ersichtlich, dass das eigene Selbstbild so negativ ist. Und es gibt viele Menschen, die ein negatives Selbstbild haben und sich dessen nicht mal bewusst sind – aber dennoch darunter leiden.
Und woran misst Du Deinen Wert?
Die meisten Menschen messen ihren Wert an Leistung. Je mehr und je besser die Leistung – desto mehr Wert hat der Mensch. Das funktioniert so lange gut, wie man immer hohe Leistung zeigt und sich keinen Fehler erlaubt. Lässt die Leistung mal nach, hat das unweigerlich Auswirkungen auf den Selbstwert. Je öfter diese Menschen in ihren Augen nicht genug Leistung zeigen oder Fehler machen, desto schlechter wird ihr Selbstwert.
Ein weiterer Maßstab zur Selbstbewertung kann die Beliebtheit sein. Hier zählt es, von allen gemocht zu werden und es möglichst immer allen recht zu machen. Außerdem werden teilweise ungern Entscheidungen getroffen oder klare Aussagen gemacht, aus Angst vor Ablehnung. Werden diese Menschen mal von jemandem nicht gemocht oder ist jemand unzufrieden mit dem was sie tun, sinkt auf Dauer ebenfalls der Selbstwert.
Die Konzepte können sich auch vermischen. Es wurde in dieser knappen Ausführung hoffentlich deutlich, dass beide Arten der Selbstwertbestimmung gefährlich werden können. Woran misst Du Deinen Wert als Mensch?
Implizite und explizite Einstellungen
Einstellungen sind unser Wissen und unsere Bewertung gegenüber Objekten. Dazu zählen nicht nur Dinge, sondern auch Menschen – unter anderem wir selbst. Das Selbstwertgefühl ist somit prinzipiell die Einstellung, die wir uns selbst gegenüber haben.
In der Psychologie unterscheidet man zwischen impliziten und expliziten Einstellungen. Explizite Einstellungen sind diejenigen, die wir klar benennen können. Im Fall des Selbstwertes könnte das z. B. sein : „Ich habe schöne Augen!“, „Ich bin gut in Mathe.“, „Ich kann nicht singen.“, „Ich bin ein guter Mensch“. Sie fallen uns leicht ein und sind das, was wir über uns wissen und wie wir uns selbst beschreiben würden.
Implizite Einstellungen hingegen sind uns nicht bekannt. Wir können sie nicht benennen und wissen häufig nicht einmal, dass es sie gibt. Man kann sie also auch nicht einfach durch erfragen herausfinden. Psychologen haben sich dafür Tests ausgedacht, z. B. den Impliziten Assoziationstest (hier könnt ihr selbst einen machen), die die Reaktionszeiten messen. Sie bieten die beste Möglichkeit, die implizite Einstellung zu einem Objekt herauszufinden.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die implizite Einstellung eher spontanes Verhalten (z. B. das Drücken einer Taste) auslöst und durch die Reaktionszeiten gemessen werden kann. Die Reaktionszeit auf die Verknüpfung eines Objekts (z. B. das Bild eines dunkelhäutigen Mannes) mit einem positiven oder negativen Wort wird entsprechend der impliziten Einstellung unterschiedlich ausfallen. Die schnellere Verknüpfung zu einer Kategorie (z. B. negativ) lässt dann auf eine implizite (negative) Einstellung gegenüber dunkelhäutigen Männern schließen.
Was bedeutet das für unseren Selbstwert?
Mit unserem Selbstwert verhält es sich genauso. Wir haben einen impliziten und einen expliziten. Und diese sind nicht immer gleich eingestellt. Im Extremfall, so z. B. bei Narzissten, kann ein extrem hoher oder übertriebener expliziter Selbstwert mit einem sehr niedrigen impliziten Selbstwert einhergehen. Das kann dann zur Folge haben, dass diese Menschen hin nach außen sehr von sich überzeugt und selbstbewusst scheinen. Innerlich sind sie dies allerdings nicht – und sind sich dessen nichtmal bewusst! Wird ihr Selbstwert dann von anderen bedroht oder in Frage gestellt, reagieren sie oft mit Aggression, um sich selbst zu schützen.
In weniger extremen Fällen kann das Auseinandergehen des impliziten und expliziten Selbstbildes dennoch fatale Folgen haben.
Negative Gedankenmuster und ihre Folgen
Negative Gedankenmuster verschlechtern unseren Selbstwert bzw. halten einen negativen Selbstwert aufrecht und können uns so das Leben richtig schwer machen. Sie können unter anderem zu Entscheidungsschwierigkeiten führen, in schlimmeren Fällen sogar zu Depressionen und Angststörungen. Wenn unsere implizite Einstellung beispielsweise lautet: „Ich kann sowieso nichts schaffen, ich bin ein Versager“, dann wird das alles was wir tun beeinflussen.
Ein psychologisches Phänomen namens Selbstbestätigung sorgt dafür, dass wir unsere Einstellungen über uns selbst – egal ob positiv oder negativ – bestätigen wollen. Unsere Wahrnehmung ist selektiv und konzentriert sich in diesem Fall auf Hinweise, die unsere Meinung über uns selbst bestätigen. Befinden wir uns also z. B. als Torwart in einem Fußballspiel und lassen einen Ball durch, nehmen wir das viel intensiver wahr. Dann kommt das Gedankenmuster daher und sagt : „Siehst du, hab ich doch gesagt, dass du nichts kannst!“ Die fünf zuvor meisterhaft gehaltenen Bälle sind dann nicht relevant für die eigene Bewertung. Das bereits negative Selbstbild wird bestätigt.
Das kann irgendwann so weit führen, dass wir nicht mehr das tun, von dem wir glauben, dass wir es nicht können. Der Torwart gibt also lieber das Fußballspielen auf, anstatt sich nochmal diese Blöße zu geben. Im schlimmsten Fall können sogar richtige Angststörungen vor solchen Situationen entstehen. Vor allem dann, wenn wir ihnen nicht einfach aus dem Weg gehen können.
Schließe nicht von dir auf andere!
Eine weitere Folge ist häufig, dass wir davon ausgehen, dass andere uns genauso schlecht sehen. Weil wir uns für unfähig und wertlos halten, wenn wir die Diät nicht durchgezogen oder die Klausur verhauen haben, müssen andere das doch auch denken! Dann haben wir vielleicht Angst, anderen davon zu erzählen, dass wir doch wieder einen Donut genascht haben. Wir glauben nämlich, dass sie den Respekt vor uns verlieren und uns weniger wertschätzen. Wir fühlen uns als Menschen weniger wert und denken, andere tun das genauso. Das ist im übrigen meistens nicht der Fall.
Wenn wir dann auch noch unterschiedliche implizite und explizite Einstellungen bzw. Selbstwerte haben kann uns noch ein weiterer Fehler unterlaufen: Nehmen wir an, wir haben ein positives explizites Selbstbild haben und glauben, dass wir uns schon ziemlich gut so finden, wie wir sind. Und es ist natürlich auch gar kein Problem, wenn wir mal was falsch machen. Das macht ja schließlich jeder mal und bisher ist die Welt davon nicht untergegangen. Was passiert dann, wenn unser implizites Selbstwertgefühl da anderer Meinung ist und sagt: „Du machst immer Fehler, weil du so dumm bist und du wirst es niemals zu etwas bringen!“ ?
Zwei Dinge können hier passieren, wenn uns ein Fehler unterläuft. Wir selbst werden uns erstmal sagen, dass das ja alles kein Problem ist. So weit so gut. Aber wenn wir das jetzt den Eltern, dem Partner, den Freunden oder Nachbarn erzählen – die werden uns doch wieder so vorwurfsvoll angucken! Die sind doch immer der Meinung, man dürfe keine Fehler machen und sie würden den Respekt vor mir verlieren. Die mit ihren konservativen Einstellungen, am liebsten will ich denen das gar nicht erzählen.
Was ist hier passiert? Wir nehmen an, dass andere schlechter von uns denken und uns weniger respektieren und lieb haben, weil wir einen Fehler gemacht haben. Wir projizieren also unsere impliziten Einstellungen und Gedankenmuster auf andere, natürlich unbewusst. Wir bekommen Angst – aber wovor? Wir haben Angst, dass sich unser Wert in deren Augen durch den Fehler senkt. Dabei können wir gar nicht wissen, was die anderen davon halten. Und selbst wenn sie eine negative oder verhaltene Reaktion zeigen, heißt das noch lange nicht, dass sie uns deshalb als weniger Wert schätzen! Oder würdest Du einen Menschen als weniger Wert schätzen, weil er einen Ball hat ins Tor fliegen lassen?
Die zweite Folge ist, dass wir gereizt, schnippisch oder emotional auf alles reagieren, was unsere Einstellung bestätigt. Macht unser Gegenüber also eine zu lange Gesprächspause, guckt schief oder sagt so etwas wie „Das ist ja nicht so gut gelaufen“, fühlen wir uns direkt angegriffen. Wir wissen vielleicht im ersten Moment nicht warum aber wir sehen hier unseren (impliziten) Selbstwert bedroht. Solche Reaktionen und Projektionen sind immer ein guter Hinweis auf eine interne Baustelle.
Du erkennst Dich wieder – was tun
Der erste Schritt ist das Erkennen, dass überhaupt ein Selbstwertproblem vorliegt. Und damit ist definitiv nicht zu spaßen! Als nächstes wären die schädlichen Gedankenmuster zu erkennen und im besten Fall durch hilfreiche zu ersetzen. Ich kann Dir keine genaue Anleitung geben und auch nicht sagen, wann es professioneller Hilfe bedarf. Meiner Meinung nach kann eine psychologische Beratung oder ein Coaching niemals schaden. Du kannst es aber auch erstmal (oder als Vorbereitung auf eine Beratung) selbst versuchen.
Solltest Du Dich in typischen Symptomen wie eingangs in der Einleitung beschrieben wiederfinden, könntest Du versuchen, das ganze von hinten aufzurollen. Ein sehr hilfreiches Buch dafür findest du im nächsten Abschnitt. Im Prinzip fängst du am Ende der Kette an – bei deinen Gefühlen. Dazu ist das ABC-Modell sehr dienlich. Von Deinen Gefühlen versuchst Du, auf Deine subjektive Bewertung der Situation und damit auf Deine Einstellung zu schließen. Du willst nämlich herausfinden, was Du eigentlich selbst darüber denkst, und warum das bei Dir die entsprechende Gefühlsreaktion auslöst.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Du empfindest in einer gegebenen Situation Scham. Möglicherweise weil Du die schlechteste Mathenote der Klasse geschrieben hast. Deine Bewertung der Situation könnte lauten: „Man, ist das peinlich!“ Dann fragst Du Dich: Warum ist das peinlich? Gegen welche Norm hast Du damit verstoßen? Was bedeutet das für Konsequenzen für Dich? Wenn Du das beantwortet hast, kommt die entscheidende Frage auf diese Antwort: Wie kommst Du darauf? Und damit kommst Du an den Kern Deines Bewertungssystems. Erst findest Du Deine Normen und damit Deine Gedankenmuster (z. B. „Wer schlechte Noten schreibt wird nichts im Leben und ist nichts wert!“) und dann findest Du heraus, wo sie herkommen. Das hilft Dir, ihren Ursprung zu verstehen, sie zu hinterfragen und gibt Dir die Chance, sie zu hilfreichen Gedankenmustern zu verändern. Dazu überlegst Du Dir, welche Normen, Bewertungen und Gefühle angemessener sind, ebenfalls nach dem ABC-Modell.
Weiterführende Lektüre
Ein Buch, welches sich genau um diesen Punkt dreht und mich sehr inspiriert hat, ist „… und ständig tickt die Selbstwertbombe“ von Stavemann. Es bietet sowohl theoretischen, als auch praktischen Inhalt in Form von Übungen und ist als Selbsthilfebuch angelegt. Meine Empfehlung zu diesem Buch findest Du hier.
Ich bin momentan selbst noch dabei, solche Bücher rauszusuchen und zu lesen. Sobald ich weitere Empfehlungen habe, werde ich sie hier ergänzen. Im folgenden Bild findet Ihr ein paar Bücher, die jetzt auf meiner Leseliste sind und zum Thema passen. Die Zusammenfassungen und Empfehlungen folgen in den nächsten Wochen!
Also stay tuned!
Ich freue mich natürlich über Dein Feedback und Buchtipps oder andern Hinweise, was Dir geholfen hat!

Pingback:Selbstorganisation | Alexandra Cryns
Posted at 17:23h, 01 Januar[…] das ganz schön an meinem Selbstwert. Zum Thema Selbstwert und worüber wir uns definieren habe ich hier bereits einen Artikel […]
Pingback:Wochenplanung mit Fibromyalgie | Alexandra Cryns
Posted at 12:03h, 02 Januar[…] Versager, wenn wir das nicht (mehr) leisten können. Über das Thema negativer Selbstwert habe ich hier einen Blogbeitrag verfasst. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiges Thema auch für chronisch […]
Pingback:Selbstzweifel – Der Feind in deinem Kopf - tatmoor.de
Posted at 12:24h, 07 August[…] auf den roten Knopf drückt, der Selbstzweifel – vielleicht ist ihm langweilig? – oder der negative Selbstwert – vielleicht lief es in letzter Zeit zu gut und er fühlt sich von all der positiven Energie […]